Mapping globaler Innovation: Analyse von Patenten

Autor
Prof. Alessandro Lomi
Università della Svizzera Italiana

Gespräch mit dem Projektleiter des NFP75-Projekts.

Was war das Ziel Ihres Projekts «die globale Struktur von Wissensnetzwerken»?

Unser Ziel war es, das grösste und vollständigste derzeit verfügbare Wissensnetz zu erstellen. Wir versuchten dies, indem wir separate Patentdatensätze der OECD mit Informationen über Unternehmen zusammenführten, um Patente mit unternehmensspezifischen Informationen zu verknüpfen. Wir nutzten die neuen Datensätze, um innovative Techniken zur Informationsbeschaffung und Modelle zur Netzwerkanalyse zu entwickeln und zu testen. Anschliessend haben wir diese Techniken und Analysemodelle auf grosse Datensätze mit komplexen und sich entwickelnden Netzwerkstrukturen angewendet.

Was waren die Resultate?

Wir haben einen neuartigen Ansatz für die frühzeitige Identifizierung von «einflussreichen» Patenten entwickelt. Die Ermittlung von Spitzenpatenten in einer bestimmten Technologiekategorie kann Unternehmen helfen, einen Überblick über wichtige Innovationen in ihrem Bereich zu gewinnen. Auch Regierungen können davon profitieren, wenn sie über verschiedene Massnahmen wie die Finanzierung bestimmter Technologiebereiche entscheiden. Der in diesem Projekt entwickelte neue Ansatz erwies sich sowohl qualitativ als auch quantitativ als besser als die bestehenden, dem Stand der Technik entsprechenden Ansätze zur Identifizierung von Meilensteinpatenten.

Darüber hinaus haben wir neue Algorithmen entwickelt, um ein weit verbreitetes, ausgeklügeltes statistisches Modell sozialer (und anderer, einschliesslich Zitations-)Netzwerke zu erweitern. Dadurch kann die Methode auf weitaus grössere Netzwerke angewandt werden, als dies bisher möglich war. Diese neuen Algorithmen wurden in Open-Source-Software implementiert und auf grosse Patentzitierungsnetzwerke angewandt.

Ein weiteres Ergebnis unseres Projekts war die Schaffung eines in einen Texteditor integrierten Patentrecherche-Tools. Dieses System kann effektiv für die Suche nach Schweizer Patenten verwendet werden, da es eine mehrsprachige Suche unterstützt.

Schliesslich verfügen wir jetzt über eine funktionierende Version einer Software, die zum ersten Mal die Schätzung exponentieller Zufallsgraphenmodelle (ERGMs) für Netzwerke mit Millionen von Knoten ermöglicht. Dies war nicht möglich, als das Projekt begann. Jetzt ist es möglich – und die Software ist für alle frei verfügbar (http://www.estimnet.org/).

Was sind die Hauptaussagen des Projekts?

  • Das Herkunftsland eines Patents hat oft einen Einfluss darauf, wie häufig es zitiert wird. Dies gilt insbesondere für die Schweiz, die als produktiver Innovationshub bekannt ist.
  • Wir haben ein neues Modell namens «Time-Attentive Ranking» vorgeschlagen und entwickelt, das dabei hilft, die zeitlichen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Netzwerkknoten zu erfassen. Dieser Ansatz hat sich sowohl quantitativ als auch qualitativ als besser erwiesen als die bestehenden modernen Ansätze zur Identifizierung von Meilensteinpatenten.
  • Ein ausgeklügeltes statistisches Modell von Netzwerken (bekannt als «exponentielle Zufallsgraphenmodelle» oder ERGM), das bisher nur auf relativ kleine Netzwerke anwendbar war, kann nun mit frei verfügbarer Open-Source-Software, die im Rahmen dieses Projekts entwickelt wurde, auf Big-Data-Netzwerke mit über einer Million Knoten angewendet werden.

Welche wissenschaftlichen Implikationen sehen Sie?

Derzeit ist in der Wissenschaft ein Trend zur interdisziplinären Forschung zu beobachten. Soweit uns bekannt ist, hat nur eine begrenzte Anzahl sehr aktueller Studien die Auswirkungen der Interdisziplinarität auf den Wert eines Patents untersucht. Wir können ein Patent als interdisziplinär betrachten, wenn es viele Kategorien in seiner Klassifizierung hat. Wir können es nicht intuitiv vorhersagen, aber wir haben gezeigt, dass Interdisziplinarität den Wert eines Patents nicht erhöht. Im Allgemeinen ist es wahrscheinlicher, dass Patente mit weniger Kategorien zitiert werden. Wir haben auch gesehen, dass Patente von Spitzenunternehmen einen höheren Wert haben und eher zitiert werden. Ausserdem zeigen unsere Ergebnisse deutlich, dass Schweizer Patente im Durchschnitt eher zitiert werden.

Verschiedene Patentmerkmale beeinflussen die Zitierungen. Sowohl technische Merkmale als auch soziale Prozesse wie Homophilie (die Neigung, Patente aus demselben Land oder innerhalb derselben Klasse zu zitieren), bevorzugte Anhänglichkeit (die Neigung einer kleinen Anzahl von Patenten, einen grossen Anteil an Zitaten zu erhalten) und Transitivität (die Neigung, Referenzen von Referenzen zu zitieren) können zur Bildung von Zitaten führen. Unsere statistischen Analysen bestätigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Patente gegenseitig zitieren, sehr viel grösser ist, wenn die Patentanmelder aus demselben Land stammen, wenn die Patente in dieselbe Kategorie eingeordnet sind oder wenn die Patente in derselben Sprache abgefasst sind. Wir haben gezeigt, dass neuere Patente mit grösserer Wahrscheinlichkeit zitiert werden. Wir konnten nicht feststellen, dass Interdisziplinarität die Wirkung von Patenten erhöht. Es ist möglich, dass die Auswirkung interdisziplinärer Patente eine andere – und ausgefeiltere – Metrik benötigt, um in Patentdaten erkannt zu werden. Zum Beispiel Messgrössen, die den Begriff der «Reichweite» und nicht die Anzahl der Zitierungen an sich darstellen.

Wir haben auch Analysen der Zitationen unter den Top-Unternehmen im Zitationsnetzwerk durchgeführt. Wir haben festgestellt, dass Unternehmen (oder Organisationen) je nach ihrer Position im Netzwerk unterschiedliche Rollen im Zitationsnetzwerk spielen. Dies bestätigte unsere Hypothese, dass Unternehmen, die mehr Zitate erhalten, tendenziell einflussreicher sind und dass Unternehmen, die dazu neigen, andere Unternehmen durch Patente zu zitieren, Wissensvermittler sind.

Darüber hinaus sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die reine Anzahl der Zitate nicht ausreicht, um die Bedeutung eines Patents zu erfassen, da sie das Alter der Zitate nicht berücksichtigt. Wenn wir dies mit einer ausgewogenen Metrik wie dem Time-Aware-Ranking berücksichtigen, können wir garantiert potenzielle Patente identifizieren, die in naher Zukunft das technologische Wachstum ankurbeln werden.

Diese wissenschaftlichen Ergebnisse liefern interessante Implikationen in Bezug auf die Eigenschaften, die einflussreiche Schweizer Patente derzeit haben und in Zukunft im Patentnetzwerk haben könnten.

Welche Empfehlungen hat Ihr Projekt?

Die Ziele unseres Projekts waren im Wesentlichen methodischer Natur und umfassten keine praktischen politischen Empfehlungen oder Ratschläge. Unsere Erfahrungen mit einer beträchtlichen Vielfalt von Patentdatenquellen haben jedoch gezeigt, dass die Art und Weise, wie Patentdaten erhoben und gespeichert werden, allgemeinen Beschränkungen unterliegt. Wir beobachten einen deutlichen Widerspruch zwischen der Behauptung, dass das Wissenssystem zunehmend globalisiert ist, und der Art und Weise, wie Informationen über Wissensflüsse gesammelt werden, die im Wesentlichen lokal, d. h. auf nationaler Ebene organisiert sind.

Da es sich bei Patenten um Rechtsdokumente handelt, ist deren Analyse auf die Daten beschränkt, die von den nationalen Patentämtern gesammelt, verwaltet und zur Verfügung gestellt werden. Dies bedeutet, dass es praktisch unmöglich ist, Patentzitate über nationale Systeme hinweg zu verfolgen. Zitierungen von Patenten, die in einem bestimmten Land registriert sind, sind nur dann verfügbar, wenn das zitierte Patent in demselben nationalen System wie das zitierende Patent liegt. Patentzitate über nationale Patentsysteme hinweg gehen verloren, weil die nationalen Patentsysteme nicht gut koordiniert sind. Beim Internationalen Patentamt (IPO) registrierte Patente stellen eine Ausnahme dar – aber das IPO organisiert immer noch einen relativ kleinen Teil der weltweiten Patentaktivitäten.

Wie Meguro und Osabe (2019, Lost in patent classification. World Patent Information, 57, 70-76) kürzlich feststellten, bleibt die Verfolgung von Patentzitaten über nationale Systeme hinweg trotz der Entwicklung einer gemeinsamen internationalen Patentklassifikation (IPC) schwierig. Eine politische Empfehlung, die sich aus dem Projekt ergibt, wäre die Aufforderung zu weiteren internationalen Anstrengungen, um sicherzustellen, dass der globale Umfang der Patentdaten mit der Globalisierung der Wissensströme und der Innovation Schritt halten kann.

Big Data ist ein sehr vager Begriff. Können Sie uns erklären, was Big Data für Sie bedeutet?

Im Fall von Netzwerkdaten kann aufgrund der kombinatorischen Natur von Netzwerken eine «kleine» Anzahl von Knoten immer noch eine «grosse» Anzahl an Beziehungen zwischen den Knoten bedeuten – und eine exponentiell grössere Anzahl an möglichen Netzwerken einer bestimmten Grösse (Anzahl von Knoten).Im Fall von Netzwerkdaten ist eine nützliche Art, über Big Data nachzudenken, sich auf eine kleine Anzahl von Generierungsmechanismen zu konzentrieren, anstatt auf die grosse Anzahl von Beobachtungen, die diese Mechanismen produzieren können.

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