Handelsabkommen: Auswirkungen auf nationales Recht

Autorin
Prof. Mira Burri
Universität Luzern

Gespräch mit der Projektleiterin des NFP75-Projekts.

Was war das Ziel des Projekts «Die Regulierung von Big Data in Handelsabkommen»?

Der Ausgangspunkt des Projekts bezog sich auf den aktuellen Stand der Rechts- und Politikgestaltung, die sich nur am Rande mit der Governance von Daten in Handelsabkommen befasste und es versäumte, die Auswirkungen von Big Data und Big-Data-Analysen auf die Wirtschaft und die breiteren Auswirkungen in allen gesellschaftlichen Kontexten zu thematisieren. Ziel des Projekts war es daher, diese Lücken in der wissenschaftlichen Literatur zu schliessen und einen Beitrag zur aktuellen Politikgestaltung zu leisten, indem einige unterschiedliche, aber auch miteinander verknüpfte Aufgaben angepackt wurden:

  • eine umfassende Analyse der bestehenden Regeln im Recht der Welthandelsorganisation (WTO) und des Geflechts der präferenziellen Handelsabkommen (PTA), die sich auf (a) die Nutzung von Big Data und (b) den Regelungsspielraum auswirken, der den Staaten zur Verfügung steht, um auf nationaler Ebene Regelungsrahmen für Big Data festzulegen und zu ändern.
  • Identifizierung des sich abzeichnenden Designs in Bezug auf datenbezogene Regeln und deren globale Verbreitung, wobei die Unterschiede in den Regulierungsansätzen zwischen den Rechtsordnungen und deren Bedeutung für Datenströme und deren Regulierung hervorgehoben werden.
  • Untersuchung des Zusammenspiels zwischen internationalen datenrelevanten Verpflichtungen und nationalen politischen Initiativen.
  • Empfehlungen zu Regulierungsmodellen für den Umgang mit Daten in Handelsabkommen.

Was waren die Ergebnisse?

Im Laufe des Projekts konnten wir alle Aufgaben des ursprünglichen Forschungskonzepts angehen und eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit abliefern, die auch in akademischen und politischen Kreisen eine angemessene Verbreitung fand. Die Relevanz des Projekts wurde durch die laufenden Entwicklungen unter dem Dach der WTO und in der wachsenden Zahl der PTAs verstärkt, die bewiesen, dass die datengesteuerte Wirtschaft zu einem wichtigen Verhandlungsthema auf den Handelsplattformen wie auch im Inland geworden ist. Dies löste ein verstärktes Interesse an unvoreingenommener, aktueller und evidenzbasierter Forschung zu digitalem Handelsrecht und -politik aus und stärkte dementsprechend die Positionierung der Projektarbeit.

Um das erste Ziel des Projekts zu erreichen, haben wir alle PTAs gesammelt, die seit 2000 bis zum Ende des Projekts im Jahr 2021 abgeschlossen wurden, das sind mehr als 370 Abkommen. Um die spezifischen Bestimmungen dieser Abkommen, die für die Datenverwaltung relevant sind, abzubilden, wurde ein massgeschneidertes Codebuch mit mehr als 90 verschiedenen Kategorien entwickelt und auf jedes Abkommen angewendet. Der daraus resultierende Datensatz mit dem Titel TAPED: Trade Agreements Provisions on Electronic Commerce and Data steht zusammen mit dem Codebuch auf der Website der Universität Luzern und als Teil des Luzerner Forschungsrepositoriums unter der Creative-Commons-Lizenz zur weiteren Nutzung offen. TAPED war wichtig für die eigenen Forschungsaktivitäten, einschliesslich der beiden Dissertationen, wurde aber auch vom WEF, der OECD, dem britischen Handelsministerium, dem in Washington ansässigen Data Governance Hub sowie von Forschenden in den Bereichen Wirtschaft, Recht und internationale Beziehungen genutzt.

Gab es ein spezielles Highlight?

Ein wichtiges Forschungsergebnis und ein Höhepunkt des gesamten Projekts ist die Veröffentlichung des Bandes «Big Data and Global Trade Law» bei Cambridge University Press im Jahr 2021. Der Sammelband untersucht die Relevanz des globalen Handelsrechts für Daten, Big Data und grenzüberschreitende Datenströme. Die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen, darunter Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften, analysieren die Entwicklungen bei der WTO sowie in präferenziellen Handelsräumen und stellen die Frage, welche zukunftsweisenden Modelle für Data Governance im Bereich des Handelsrechts und der Handelspolitik verfügbar und realisierbar sind. Der Sammelband zeichnet ein umfassendes Bild der Wechselwirkung zwischen digitalen Technologien und Handelsregulierung, bietet eingehende Analysen kritischer Themen der datengesteuerten Wirtschaft wie Datenschutz und künstlicher Intelligenz und beleuchtet die Perspektiven verschiedener Länder.

Glücklicherweise habe ich kürzlich einen ERC Consolidator Grant für das Projekt «TRADE LAW 4.0: Trade Law for the Data-Driven Economy» (Handelsrecht für die datengesteuerte Wirtschaft) gewonnen, das am 1. September 2021 angelaufen ist. Damit kann ich, aufbauend auf dem NFP75-Projekt, die Forschung in diesem spannenden und immer wichtiger werdenden Bereich von Recht und Politik fortsetzen (www.digitaltradelaw.ch).

Was sind die Hauptaussagen des Projekts?

  • Es ist entscheidend, die Bedeutung der Handelsregulierung für datengesteuerte Volkswirtschaften und Innovationen im Allgemeinen anzuerkennen.
  • Die Regulierung von (Big) Data und allem, was damit zusammenhängt, inklusive nicht handelsbezogener Fragen, sollte nicht in einer Weise geregelt werden, die den internationalen Handel behindert. Es sollte ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz bestimmter wichtiger gesellschaftlicher Interessen und der Eindämmung des digitalen Protektionismus bestehen.
  • Ziel sollte es sein, eine Konvergenz in Bezug auf die Privatsphäre und den Datenverkehr zu erreichen und eine multilaterale Regulierung des digitalen Handels anzustreben. Die Schweiz könnte, ähnlich wie die EU, eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen.

Welche Implikationen sehen Sie?

Die wissenschaftlichen Implikationen unseres Projekts sind vielfältig. Was den Output betrifft, so ist unser Datensatz sicherlich eine wertvolle Ressource. Da dieser frei zugänglich ist, kann er zur Entwicklung verschiedener Forschungsstränge in unterschiedlichen Disziplinen beitragen. Die im Rahmen des Projekts durchgeführten Forschungsarbeiten, insbesondere zum Stand der Regulierung des digitalen Handels in verschiedenen Staaten und Themenbereichen sowie zu den verschiedenen Regulierungsvorlagen für die digitale Wirtschaft, wurden von der akademischen Gemeinschaft anerkannt und haben dazu beigetragen, dass wir uns als Drehscheibe für das Recht und die Politik des digitalen Handels positionieren konnten. Was künftige Entwicklungen angeht, so hat unsere eigene Analyse der Daten gezeigt, dass Handelsabkommen bisher der wichtigste Ort sind, um Datenfragen auf internationaler Ebene zu regeln. Allerdings führt die spezifische wirtschaftspolitische Konstellation mit der EU, den USA und China zu einem sehr heterogenen Pool an Normen, während die WTO-Verhandlungen weiterhin schwierig sind. Nichtsdestotrotz ist die WTO als multilaterales Forum mit einem hohen Grad an Verrechtlichung und einer breiten Mitgliedschaft nach wie vor wichtig, da sie möglicherweise die Anforderungen einer nahtlosen digitalen Wirtschaft besser widerspiegeln und ein höheres Mass an Gerechtigkeit gewährleisten kann. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, wie sich das Governance-Umfeld entwickeln wird – insbesondere, wenn die Auseinandersetzungen um den Schutz der Privatsphäre weitergehen, wenn es neue spezielle digitale Handelsabkommen gibt und wenn sich wichtige Akteure wie die EU, Grossbritannien und China neu positionieren. Im Zeitalter von Big Data und künstlicher Intelligenz ist der Bedarf an regulatorischer Zusammenarbeit eindeutig gestiegen, aber es ist ungewiss, ob dieser Bedarf angesichts der aktuellen politischen Ökonomie gedeckt werden kann. Die Regulierung nicht-wirtschaftlicher Interessen wird wahrscheinlich ebenfalls an Bedeutung gewinnen, da die Wählerinnen und Wähler im Inland Lösungen fordern, die ihre Interessen sowohl im In- als auch im Ausland angemessen schützen können.

Welche Empfehlungen habt ihr?

PDie politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sollten die Instrumente von Handelsabkommen nutzen, um die Liberalisierung des digitalen Handels voranzutreiben und datengesteuerte Innovationen zu unterstützen. Gleichzeitig sollten sie dafür sorgen, dass ein angemessener politischer Spielraum gewährt wird. Sowohl die WTO als auch die PTAs können als Kanäle der Governance genutzt werden und die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger können ihre Verpflichtungen kalibrieren. Es gibt Raum für regulatorische Innovationen, wie die jüngsten Abkommen zur digitalen Wirtschaft zeigen. Die Schweiz als hochinnovative Industrienation hat sich in diesen Diskussionen bisher eher konservativ verhalten, was sich ändern sollte. Mehr Transparenz sollte herrschen und das Bewusstsein für die Auswirkungen von Handelsabkommen auf datengesteuerte Gesellschaften sollte geschärft werden.

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