Big Data im HR-Bereich

Autorin
Prof. Antoinette Weibel
Universität St. Gallen

Gespräch mit der Projektleiterin des NFP75-Projekts.

Was war das Ziel Ihres Projekts?

Tools für «People Analytics» sollen Unternehmen produktiver, transparenter und flexibler machen und die Fairness fördern. Ihr Nutzen kann jedoch mit verschiedenen, oft einschneidenden Fallstricken einhergehen wie dem Verlust von Vertrauen. Mit unserem Projekt haben wir vier Fragen beantwortet: (1) Wie sieht eine vernünftige Konzeption von Big Data im Personalwesen aus? (2) Welche Big-Data-basierten Praktiken setzen Schweizer Unternehmen derzeit im HR-Bereich ein? (3) Inwieweit fördern oder schädigen diese das Vertrauen in den Arbeitgeber? (4) Welche Verbesserungsmöglichkeiten gibt es aus personalwirtschaftlicher, ethischer und rechtlicher Sicht?

Resultate?

Vertrauen/HR-Management: Unser modulares Modell bietet eine erste Möglichkeit, die Komplexität systematisch zu entwirren, die mit der Implementierung und Nutzung von Big Data einhergeht. Zudem kann das Modell von Managerinnen und Managern genutzt werden, um die Auswirkungen der Technologie am Arbeitsplatz zu bewerten, oder sogar als Instrument zur Schulung der digitalen Kompetenz in einem Führungskontext. Darüber hinaus sind unsere Ergebnisse insofern zukunftsweisend, als sie die Herausforderungen in das Vertrauen aufzeigen, die sich aus der fortschreitenden Automatisierung der Führung ergeben, und auf kritische Managementstrategien hinweisen, um solche vertrauensschädigenden Auswirkungen abzumildern.

Unternehmensethik: Die Entwicklung und Implementierung von Big-Data-basierten HR-Tools geht mit erheblichen normativen Herausforderungen einher, die wir systematisch aus der Perspektive der persönlichen Integrität heraus erarbeitet haben. In unseren Veröffentlichungen haben wir neue Perspektiven auf die verantwortungsvolle Nutzung von Technologie eröffnet und bisher wenig beachtete Konzepte wie Monolatrie oder moralische Vorstellungskraft erforscht. Wir plädieren für die organisatorische Entwicklung einer kritischen Datenkompetenz, eines moralischen Bewusstseins, einer partizipativen Gestaltung und (über die ausführende Organisation hinaus) neuer Regulierungssysteme.

Recht: Arbeitgeber stehen vor datenschutzrechtlichen, arbeitsrechtlichen und diskriminierungsrechtlichen Herausforderungen. In unseren Publikationen haben wir diese rechtlichen Herausforderungen analysiert und Lösungen für Fragen vorgeschlagen, die im Schweizer Recht bisher nicht behandelt wurden. Wir haben für eine Professionalisierung und Demokratisierung des Datenschutzrechts plädiert, um eine bessere Rechtsdurchsetzung in der Praxis zu erreichen. Wir haben auch gezeigt, dass das Diskriminierungsrecht die algorithmische Diskriminierung nicht angemessen verhindert oder kompensiert und dass es dazu auch mit einer Gesetzesrevision nicht in der Lage sein wird. Wir haben die arbeitsrechtlichen Fragen, die sich im Schweizer Recht stellen, analysiert.

Hat Ihr Projekt Auswirkungen auf die Gesellschaft und gibt es Empfehlungen?

Praktikerinnen und Praktiker, also Managerinnen und Manager, Entwicklerinnen und Entwickler oder Organisationsmitglieder, können durch unsere interdisziplinären Studien Algorithmen-basierte Personalentscheidungen als kulturell und ethisch komplexes, gesellschaftlich eingebettetes Phänomen erleben. Mit unseren Studien wollen wir einen Beitrag zur Entwicklung der digitalen Verantwortung von Unternehmen leisten. Vor diesem Hintergrund betonen wir die besondere Bedeutung einer kritischen Datenkompetenz, die sich nicht auf technisches Fachwissen beschränkt. Nur eine sorgfältige normative Betrachtung von Digitalisierungsprozessen schafft ein ausreichendes moralisches Bewusstsein, um Organisationsmitglieder zu befähigen, sich an kritischen Diskursen zu beteiligen. So geschulte und sensibilisierte Praktikerinnen und Praktiker können sich erfolgreich an partizipativen Gestaltungsmethoden beteiligen, die eine neue Generation von Algorithmen-basierten HR-Programmen ermöglichen. Solche partizipativen Design-Ansätze und organisatorischen Räume für die Reflexion über normative Belange könnten viele der in unseren Studien identifizierten und aufgezeigten Fallstricke vermeiden.

Stichwort «Technologietransfer»: Was sind die Aktivitäten Ihres Projekts?

Die evidenzbasierten Ergebnisse der interdisziplinären Studien haben Eingang in verschiedene akademische Kurse und Formate gefunden. Aus der HR-/Vertrauens-Perspektive haben wir eine Ausgabe 2020 unserer «Swiss People Analytics Survey» von 2018 durchgeführt. Basierend auf diesen Erkenntnissen haben wir ein halbjährliches Forum mit dem Titel «HSG Tech Breakfast» ins Leben gerufen, bei dem wir uns mit Schweizer Tech-Praktikerinnen und -Praktikern austauschen und auch Erkenntnisse aus unserer Forschung präsentieren.

Am Institut für Wirtschaftsethik haben die Erkenntnisse rund um persönliche Integrität einen festen Platz in der Management-Aus- und Weiterbildung eingenommen. Gerade die etablierte Weiterbildung im Bereich «Corporate Social Responsibility» profitiert immens von einer Erweiterung der Perspektive und der Integration von Fragen rund um die dynamisch fortschreitende Digitalisierung. Aus rechtlicher Sicht haben wir unsere Forschung an Schweizer Konferenzen vorgestellt und Gespräche mit der Eidgenössischen Arbeitskommission und der Direction du travail des SECO aufgenommen, um unsere Regelungsvorschläge für die Personenanalyse nach Schweizer Recht zu präsentieren.

Big Data ist ein sehr vager Begriff. Können Sie uns erklären, was Big Data für Sie bedeut?

Unser Projekt hat zu einem differenzierten Verständnis des Begriffs «Big Data» im Kontext von Führung und Management beigetragen. Wir haben konzeptualisiert, wie neue Technologien und Big Data die Art und Weise, wie organisatorische Steuerung (als zentrale Führungs- und Managementaufgabe) durchgeführt wird, verändern und transformieren. Auf dieser Grundlage haben wir auch einen Beitrag dazu geleistet, was es für Organisationen bedeutet, wenn Big Data am Arbeitsplatz an Dynamik gewinnt, wie sich die Automatisierung der Führung manifestieren wird und welche Aufgaben dem Menschen in dieser sehr wahrscheinlichen Dreiecksbeziehung verbleiben werden.

Zum Projekt

Weiterführende Links