Algorithmen verbessern Zuweisung zu Arbeitsmarktlichen Massnahmen

Autor
Dr. Anthony Strittmatter
Universität St. Gallen

Gespräch mit einem der Forschenden des NPF75-Projekts «Kausalanalyse mit Big Data».

Was können Sie uns zum Stand Ihres Projekts erzählen?

In unserem Projekt «Kausalanalyse mit Big Data» (Projektleiter Prof. Michael Lechner) entwickeln wir Machine Learning Algorithmen für Kausalanalysen mit grossen und komplexen Datensätzen. Anschliessend verwenden wir diese Methoden, um ökonomische Fragestellungen zu beantworten. Ein Anwendungsbereich ist die Arbeitsmarktforschung.

In der Schweiz gab es im Jahresdurchschnitt 2017 143’000 registrierte arbeitslose Personen (Quelle: BfS). Davon nahmen 35000 an einer Arbeitsmarktlichen Massnahme (AMM) teil. AMM haben das Ziel die Wiedereingliederung von arbeitslosen Personen in den ersten Arbeitsmarkt zu verbessern. Zum Beispiel können Teilnehmer während einer AMM ein Bewerbungstraining absolvieren. 2017 betrugen die Gesamtausgaben für AMM 1,2 Milliarden CHF (Quelle: OECD Statistik).

In einer aktuellen Studie untersuchen wir Zuweisungsmechanismen für Schweizer AMM. Diese Studie wird in der renommierten Fachzeitschrift «Journal of Human Resources» veröffentlicht (Titel des Artikels: «Heterogeneous Employment Effects of Job Search Programmes: A Machine Learning Approach», Autoren: Michael Knaus, Michael Lechner, Anthony Strittmatter, doi: 10.3368/jhr.57.2.0718-9615R1).

Wie steht es mit ersten Resultaten?

Die Grundüberlegung der Studie ist, dass AMM nicht die gleichen Arbeitsmarktwirkungen für alle Teilnehmer haben. Einige arbeitslose Personen haben gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt und benötigen keine AMM. Andere arbeitslose Personen haben kaum ein Chance auf dem Arbeitsmarkt, selbst wenn sie an einer Massnahme teilnehmen. Für diese Personengruppen haben AMM keine oder nur eine geringe Wirkung. Ein effektiver Zuweisungsmechanismus sollte hingegen arbeitslose Personen bevorzugen, für welche AMM eine hohe Wirksamkeit hat.

Um einen effektiven Zuweisungsmechanismus zu entwickeln, ist es notwendig, die heterogenen Arbeitsmarkteffekte der AMM zu schätzen. Es ist a priori nicht klar, welche Charakteristiken eine gute Vorhersagekraft für die heterogenen Arbeitsmarkteffekte haben. Auf der Angebotsseite stehen die Charakteristiken der arbeitslosen Personen (z.B. Bildung, Berufserfahrung, Dauer der Arbeitslosigkeit) und auf der Nachfrageseite die Charakteristiken des Arbeitsmarktes (z.B. BIP, regionale Arbeitslosigkeit, Vakanzen).

In grossen administrativen Datensätzen sind die gesamten Erwerbsverläufe von arbeitslosen Personen aufgelistet. Man kommt schnell auf einen Datensatz mit mehreren tausend Charakteristiken, aber viele dieser Charakteristiken sind hoch korreliert oder redundant. In der Praxis könnte das Aufnehmen aller Charakteristiken in ein Schätzmodell zu ungenauen Vorhersagen führen. Andererseits besteht das Risiko, wichtige heterogene Arbeitsmarkteffekte zu übersehen, wenn massgebende Charakteristiken unberücksichtigt bleiben. Insbesondere könnten Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Charakteristiken leicht übersehen werden.

Machine Learning Algorithmen ermöglichen, die wichtigsten Charakteristiken in einer systematischen und datengetriebenen Art in ein Schätzmodell aufzunehmen, ohne die Unsicherheit der Vorhersagen zu erhöhen. Solche Machine Learning Algorithmen entwickeln wir in unserem Projekt.

In unserer Arbeitsmarktanwendung dokumentieren wir, dass durch eine evidenzbasierte Zuweisung von Schweizer AMM die Beschäftigungschancen von Teilnehmern um bis zu 60 Prozent gesteigert werden können. Zum Vergleich: Die heutige Zuweisungspraxis schneidet nicht besser ab als eine zufällige AMM-Zuweisung. Unsere Studie zeigt exemplarisch, welche Potenziale «Big Data» und Machine Learning für die Effektivitätssteigerung von AMM-Zuweisungsmechanismen haben.

Stichwort «Technologietransfer»: Wer wären aus Ihrer Sicht mögliche Nutzer Ihres Projekts? Wer könnte davon profitieren?

Die regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAVs) könnten diese Erkenntnisse für eine evidenzbasierte Zuweisung von arbeitslosen Personen zu AMM verwenden. Eine effektivere Zuweisung von AMM könnte die Sozialversicherungssysteme entlasten. Die AM-Teilnehmer und letztendlich alle Beitragszahler würden von effektiveren Zuweisungsmechanismen profitieren.

Big Data ist ein sehr vager Begriff. Können Sie uns erklären, was Big Data für Sie bedeutet?

Gerade weil «Big Data» ein vager Begriff ist, können sich Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen unter diesem Begriff zusammenschliessen und austauschen. Für mich bedeutet «Big Data» das Arbeiten mit Daten oder Programmen, die viel Rechenleistung oder Speicherkapazitäten benötigen. In unserem Projekt arbeiten wir hauptsächlich mit sehr komplexen Datensätzen, welche viele Charakteristiken über arbeitslose Personen, RAV-Sachbearbeitende und regionale Arbeitsmarktbedingungen beinhalten. Die Machine Learning Algorithmen, die wir entwickeln, ermöglichen es, Kausalbeziehungen in einer datengetriebenen Art zu modellieren.

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