Big Data in Sozialwissenschaften

Big-Data-Methodenfür eine Soziologie des 21. Jahrhunderts

Autorin
Rahel Estermann
Universität Luzern

Gespräch mit einer der Verantwortlichen des NPF75-Projekts «Der Umgang mit Big Data: Methoden für eine Soziologie des 21. Jahrhunderts».

Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Projekt, und was haben Sie bereits realisiert?

Das Projekt untersucht den digitalen Wandel in den drei Feldern Soziologie, Datenjournalismus und Data Science im Hinblick auf die dort genutzten und notwendigen Methoden, Fähigkeiten und analytischen Werkzeuge und zeichnet den aktuellen Stand und Entwicklungslinien auf.

In allen drei Teilprojekten, die sich mit je einem der drei genannten Feldern beschäftigen, läuft die Erhebung von Daten, erste Analysen wurden durchgeführt. Alle drei Projekte kombinieren verschiedene Methoden, seien sie quantitativ (Sammlung und Analyse von Job-Inseraten oder Lehrplänen, text- und netzwerkanalytische Auswertungen) oder qualitativ (Interviews, ethnografische Feldbeobachtung, Dokumentenanalyse). In einem iterativen Prozess werden Erkenntnisse aus dem Feld mit theoretischen Angeboten abgeglichen und gedeutet – um danach weitere Schritte im Untersuchungsfeld zu planen.

Alle Forschenden präsentieren ihren aktuellen Stand des Projekts immer wieder durch Vorträge im Rahmen von Konferenzen, teilweise auch bereits in Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften.

Worauf sind Sie und Ihr Team besonders stolz?

Wir thematisieren als eines der wenigen Projekte im Rahmen des NFP75 grosse Datenmengen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. «Big Data» ist nicht einfach ein technisches Phänomen, sondern erweitert die Möglichkeiten, wie wir die Welt sehen und Wissen darüber gewinnen können. Wir sind stolz darauf, dass der SNF uns darin unterstützt, die Methoden, Fähigkeiten und Werkzeuge zu erforschen, die in verschiedenen Feldern im Zusammenhang mit «Big Data» angewendet werden – und dass diverse Wissenschaftler*innen wie auch Journalist*innen uns in den Einzelprojekten unterstützen, indem sie uns Zugang zu ihrem Arbeitsalltag gewähren. Der Vergleich über verschiedene Felder ermöglicht uns immer wieder, übergreifende Muster bzw. Spezifitäten zu erkennen und zu diskutieren.

Welche Veränderungen bewirkt Ihr Projekt?

Unser vertiefter Blick auf die neuen Chancen und Herausforderungen, vor denen Soziologie, Datenjournalismus und Data Science durch die Verfügbarkeit grosser Datenmengen stehen, liefert nicht nur Erkenntnisse dazu, wie die Digitalisierung Prozesse der Wissensgenerierung verändert, sondern begleitet diese Veränderungen zudem kritisch. Unsere Gesellschaft braucht nicht nur Wissen über jene soziotechnischen Veränderungen, die wir Digitalisierung nennen, sondern auch eine kritische Überprüfung jener, die diese Prozesse mit «digitalen Methoden» erklären und mitgestalten. Von welchen (mal mehr mal weniger) neuen Methoden, Fähigkeiten und Werkzeugen unserer drei Felder können auch andere gesellschaftliche und wissenschaftliche Bereiche profitieren? Welche Praktiken und Konventionen gilt es jedoch auch kritisch auf ihre Sensibilität bezüglich der sozialen Konstruktion von «Big Data» und Co. zu überprüfen? Dank unseren Erkenntnissen können wissenschaftliche und gesellschaftliche Felder ihre methodischen Zugänge überprüfen und erneuern und Lernenden entsprechende Fähigkeiten vermitteln.

Was bedeutet das NFP 75 für Sie?

Dank unserem NFP75-Forschungsprojekt habe ich die Gelegenheit, meiner Neugier über die Zusammenhänge zwischen Gesellschaft, Technologie und Medien über mehrere Jahre freien Lauf zu lassen – ein Privileg! Ich verfüge über die Zeit, sehr aktuellen und relevanten Phänomenen auf den Grund zu gehen, meine Hypothesen immer wieder an Theorien und Erkenntnissen zu überprüfen und zu überarbeiten. Der Austausch mit den über dreissig anderen Projekten und ihrer Forschung bedeutet einen Wissensvorrat, den wir mittels Austausch und Diskussionen immer wieder nützen. So kommen verschiedenste Perspektiven auf das Phänomen «Big Data» zusammen – horizonterweiternd!

Was würde fehlen, wenn es Ihr Projekt nicht gäbe?

Wir beleuchten «Big Data» von einer anderen Seite als viele technische und naturwissenschaftliche Projekte. Daten sind aus unserer Sicht nicht «roh», sondern werden in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontexten erschaffen. Unser Blick in die Konstruktion von Daten und Wissen daraus schärft das Bewusstsein für die grosse Rolle von Methoden und Werkzeugen der Datenverarbeitung. Sie erst ermöglichen die Nutzbarmachung von Daten – das war schon früher so.
Unsere sozialwissenschaftliche Perspektive auf grosse Datenmengen stellt uns deshalb auch immer wieder vor die Frage, ob Digitalisierung wirklich alles neu macht – was verändert sich wirklich? Welche Bereiche unseres Zusammenlebens sind davon betroffen? Und mit welchen Werkzeugen haben wir uns früher Daten zunutze gemacht, und mit welchen heute?

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